„Do-It-Yourself-Urbanismus“ – Hanno Rauterberg: Wir sind die Stadt! – Urbanes Leben in der Digitalmoderne

Eine Buchempfehlung für alle die gegen die hässlichen und überregulierten Seiten der Städte etwas tun wollen. Für alle die die subversive und wachsende Lust der Digital Natives nach Urban Gardening, Guerilla-Knitting oder Parcouring und Streetart verstehen wollen. Für alle die die hässlichen Seiten der Stadt als Freiräume nutzen wollen.

„Es gibt eine um sich greifenden Privatisierung des öffentlichen Raums, das stimmt. (…) Doch gibt es auch eine Gegenbewegung, eine wachsende Lust vieler Bürger am Offenen und Öffentlichen. Die freien, unbestimmten Räume der Stadt gewinnen eine andere, gewichtige Bedeutung. Mein Buch erzählt von diesem Urbanismus von unten, der die Stadt wiedererweckt. Es schildert, wie sich viele Bürger den öffentlichen Raum auf mannigfache Weise aneignen und wie sie ihn verändern. (…)

guerilla knitting
Guerilla Knitting in der Zanellastraße, Wuppertal-Barmen

Bei vielen Menschen wächst die Bereitschaft, sich auf ungewohnte Spielformen des Öffentlichen einzulassen. Manche begeistern sich für Flash– und Smartmobs, andere verlegen sich auf das Guerilla-Knitting, wieder andere statten den öffentlichen Raum mit selbst gebauten Bänken und Stühlen aus, eine Unternehmung, die in den USA unter dem Namen Chair-Bombing bekannt ist. Eine stille Anarchie scheint viele Menschen zu erfassen, vor allem die jüngeren:

Sie begreifen noch die hässlichsten Parkhäuser als Übungsplätze für athletische Kunststücke (Parkouring), verwandeln betonierte Straßenränder in kleine Blumenbeete (Guerilla-Gardening), machen aus Stromkästen Kunstwerke (Street-Art) oder erklären verwaiste Stadtplätze zur neuen Partyzone (Outdoor-Clubbing). Und wiederum ist das Internet, sind Facebook und Twitter oft Katalysatoren. Ähnlich wie die Gesellschaft sich pluralisiert hat, bilden auch die Straßen und Plätze höchst diverse Formen und Funktionen von Gemeinschaft aus. Und wohl gerade deshalb zieht es viele Menschen in die Stadt: Sie erweist sich als Möglichkeitsraum, offen für widerstreitende Interessen.

(…)

Und sie bilden Gemeinschaften, die frei sind von den üblichen Gewinnabsichten. Nicht um Konsum, nicht um materielle Vorteile geht es ihnen, sondern um ideelle Werte. Mal teilen sie eine politische Überzeugung, mal die Freude am gemeinsamen Gärtnern und Spielen, mal fühlen sie sich durch ein öffentliches Essen, den Augenblick geteilten Genusses, verbunden oder durch die kollektive Erfahrung der künstlerisch-kreativen Gestaltung einer Straßenkreuzung. Es sind auch dieses keine starken Formen von Öffentlichkeit, hier geht es anders als in Parlamentsausschüssen nicht um komplexe Entscheidungsfindung, nicht um Argument und Gegenargument. Doch immerhin ist das gesellschaftliche Wir, das in den meisten urbanen Bewegungen zusammenfindet, nicht auf Ab- und Ausgrenzung bedacht. Es schließt nicht aus, es schließt auf. (…)

Es unterscheidet dieses urbane Wir von den kommerziellen Sonderzonen des Öffentlichen, von den Lounges und Spaß und Erlebnisparks, die den Zutritt nicht selten an Wohlstand, Besitz oder Status koppeln. Ob Flashmob, Geocaching oder Urban Gaming – immer sind es einladende, gestaltungsoffene Öffentlichkeiten, jeder ist willkommen, der sich auf die kollektiven Regeln einlassen oder sie in der Auseinandersetzung mit anderen verändern mag.“

Nach der Lektüre des kompletten Interviews und natürlich des Buches sollte jeder verstanden haben, dass „Urban gardening“ nicht einfach eine moderne Variante des Schrebergartens ist.

Quelle:

„Do-It-Yourself-Urbanismus“. Hanno Rauterberg über neue Tendenzen des Stadtlebens
Interview mit  Hanno Rauterberg von Reinhard Jellen 01.06.2014 in telepolis über sein Buch Wir sind die Stadt!

edition suhrkamp 2674, Broschur, 159 Seiten
ISBN: 978-3-518-12674-5

Foto: Samuel Felstau


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