Verschönerungsvereine und Gartenkünstler als Vorbilder für nachhaltiges Engagement

Harald Welzer beschreibt in seinem Buch Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand auf Seite 201f. Verschönerungsvereine und Gartenkünstler als Vorbilder für nachhaltiges Engagement:

Man kann Dom und Kaufhundehütte (Discounter) als diametrale Konzepte darüber verstehen, worum es im Leben geht und welches Verhältnis jeweils zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herrscht. Die Erbauer des Kölner Doms, der Sixtinischen Kapelle oder der Potsdamer Heilandskirche waren jeweils daran interessiert, ihr Werk für künftige Menschen so bedeutsam sein zu lassen, wie es ihnen selbst erschien: Deshalb spielt keine Rolle, welche Zeit und welche Mühe in sie eingehen muss. Dasselbe gilt für die Lebenszeit der Baumeister, die ihre Gebäude oft nicht mehr als vollendete gesehen haben. Noch mehr gilt das für die Gartenbaumeister des 18. und 19. Jahrhunderts, die ihre Ideallandschaften in der Imagination entwarfen, dass die Blätter der frisch gepflanzten Bäume in einem hundert Jahre entfernt liegenden Herbst ein genau abgestimmtes Farbspiel zeigen würden. Das ist eine Kalkulation mit den Eigenzeiten und den Eigenlogiken einer domestizierten Flora — aber welche Vorstellungen über die Durchlässigkeit und Unbedeutsamkeit des Gegenwartspunktes kommen darin zum Ausdruck! Ein solcher Park, ein solches Bauwerk werden in eine Zukunft hinein entworfen, und genau damit gestalten sie diese Zukunft mit, verleihen ihr eine historische Signatur.

Das Erlebnis, das man heute beim Durchwandern des Wörlitzer Gartenreichs oder des Babelsberger Parks haben kann, stammt aus einer anderen Zeit und ist zugleich ganz gegenwärtig. Es verbindet Zeitspannen praktisch über viele Generationen hinweg und ist um die Begrenztheit individueller Lebenszeit ganz unbekümmert. Solche Nachhaltigkeit ist ein Beitrag zur Ästhetik des guten Lebens.

Die Menschen, die heute im Rahmen der transgenerationellen Zeitlichkeit solcher Projekte arbeiten, die vor ihnen entstanden und nach ihnen bestehen werden, arbeiten in einem völlig anderen temporalen Verhältnis als das Personal in den Kaufhundehütten. Sie arbeiten paradoxerweise viel mehr an der Zukunft, obwohl sie an Historischem arbeiten. Die nachhaltige Moderne erfordert ein anderes Zeitregime als die expansive Moderne, weshalb man von der Zeitenthobenheit der Dom-und Gartenbaumeister eine Menge lernen kann, was man in Zukunft brauchen wird.

Und von so einem nachhaltigen Engagement vergangener Zeiten profitieren auch wir in Wuppertal heute. Man kann fast sagen, dass alle unsere großen Grünanlagen und Parks auf der Arbeit z.B. des Ronsdorfer, Elberfelder und Barmer Verschönerungsvereins beruhen. Lesen Sie mehr hier im Artikel von Antonia Dinnebier, Bürgerschaftliches Engagement: Schöner im Verein

Auch seine 12 Regeln für den Widerstand sind ausgelegt auf unseren eigenen Lebensraum und allgemeine Leitlinien für jegliche bürgerliche Initiative gerade in der Kommune.

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In diesem Sinne kann man nur sagen, lasst uns viel Spaß haben!

Harald Welzer, geboren 1958, ist Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit und Professor für Transformationsdesign am Norbert Elias Center for Transformation Design & Research (NEC) der Universität Flensburg . Daneben lehrt er an der Universität Sankt Gallen.

Rezensionen

Harald Welzer
Selbst denken
Eine Anleitung zum Widerstand
Preis € (D) 19,99
ISBN: 978-3-10-089435-9


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